Warum sich die Sonnenblume zur Sonne dreht

[georgette]

Warum sich die Sonnenblume zur Sonne dreht

Lange bevor in unseren Gaerten die goldenen Sonnenblumen zu leuchten begannen, herrschte im Gruenen Kaiserreich der Gruene Kaiser, der hatte eine einzige Tochter, schoen wie eine Fruehlingsbluete. Aber der Kaiser machte sich grosse Sorgen um sie, denn die Prinzessin wollte nicht heiraten. Keiner der Prinzen, ob gross oder klein, ob hell- oder dunkelhaarig, gefiel ihr. Auf ihres Vaters Zureden antwortete sie stets: "Mir gefaellt nur der Sohn der Sonne." Eine Tages geriet der Kaiser darueber in Zorn und rief: "Also geh und nimm den Sohn der Sonne zum Gemahl, mir aber komm nicht mehr unter die Augen!"
Die Prinzessin machte sich auf den Weg. Sie wanderte immer nach Osten, ueber Berg und Tal, durch Waelder und Wuesten, bis sie zu dem hohen Berg gelangte, auf dem die Sonne ihren Palast hatte.
"Was suchst du hier Maedchen? fragte dort eine alte Frau und begruesste sie.
"Ich moechte zum Sohn der Sonne", erwiderte die Prinzessin und erzaehlte, warum ihr Vater sie aus dem Haus gejagt hatte. Die Alte fand an dem Maedchen Gefallen.
"Ich bin die Sonne", sagte sie, "und ich gebe dir meinen Sohn zum Gemahl. Aber wenn du bei ihm bleiben willst, darfst du ihm niemals ins Gesicht schauen."
Das versprach die Prinzessin, und lange Zeit hielt sie ihr Versprechen. Ein ganzes Jahr lebte sie mit dem Sohn der Sonne gluecklich und zufrieden. Aber schliesslich wurde sie doch neugierig. Warum sollte ich dem Sohn der Sonne nicht ins Gesicht sehen duerfen, schliesslich ist er mein Gemahl, ueberlegte sie immer wieder.
Der Sonne fiel ihre Nachdenklichkeit auf. Mitleidig sagte sie: "Ich weiss, was dich quaelt, und gebe dir einen guten Rat. Stell ein Glas Wasser vor deinen Gemahl und schau dir darin sein Spiegelbild an. Aber eines merke dir: Wenn du zu lange dabei verweilst, wird er es bemerken, und dann ergeht es dir schlecht."
Die Prinzessin tat, wie die alte Frau ihr geheissen. Als der Sohn der Sonne abends heimkehrte, stellte sie ein Glas Wasser vor ihn hin und schaute hinein. Im Glas zeigte sich das Gesicht ihres Gemahls, und es war so schoen und freundlich, dass ihr schier das Herz stehenblieb. Sie vergass die Warnung der Sonnenmutter und sah das Spiegelbild so lange an, bis ihr Gemahl es bemerkte.
Zornig rief er: "Wenn du nicht gehorchen kannst, will ich dich nicht hier haben!" Und er vertrieb die Prinzessin aus dem Palast. Weinend lief sie ueber Stock und Stein. Aber weit ist sie nicht gekommen. Als sie ueber ein Feld lief, erbarmte sich die Sonne und verwandelte sie in eine hochragende Pflanze mit einer grossen gelben Bluete. Die grosse gelbe Bluete drehte sich sogleich der Sonne zu, und das macht sie noch heute. Die Menschen nannten sie Sonnenblume.