Herr Berger`s Rezept

[georgette]

Herr Berger`s Rezept

Es war eine seltsame Geschichte. Von einem Taubstummen. Ungefaehr so; Und er nahm ihn besonders, legte ihm die Finger in die Ohren, und beruehrte seine Zunge. Dann sagte er ein fremdes Wort; Hephata oder so aehnlich - da wurde der Taubstumme geheilt. Na ja, eben eine fromme, erbauliche Geschichte. Ich las und steckte das Papier in die Tasche. Merkwuerdig wie?"
"Ich finde das ueberhaupt nicht merkwuerdig", sagte der Chefarzt.
"Auch nicht, dass ich in dieser Nacht verunglueckte?" Der Kranke hob den Kopf. Auf seiner Stirn glänzte ein Schweisstropfen.
"Am folgenden Morgen lag ich bei ihnen in der Klinik, Doktor.Das war vor einer Woche. Und nun habe ich mir den Anfang der Geschichte herausgeschrieben."
Dr. Bieling nickte:" Ich verstehe. Sie merkten auf einmal, dass ihr Leben nur scheinbar in Ordnung war. Ist es so?"
"Noch mehr, Doktor. Vielleicht war es gerade diese Ordnung, die nicht in Ordnung war. Wie soll ich ihnen das erklaeren?"
Er ueberlegte:" Ich habe mir eigentlich nichts vorzuwerfen. Die Ehe ist intakt, die Soehne im Studium, das Geschaeft von Jahr zu Jahr mit hoeherem Gewinn,ich selber in den Stadtrat gewaehlt, jede Woche am Stammtisch, ein allerseits geachteter Bürger - und trotzdem wurde ich herausgerufen. In dieses Zimmer, das mir nicht gehoert. In dieses Bett, das ich mir nicht herausgesucht habe. Da liege ich nun, ohne Kontobuch, ohne Wagen, ohne Freunde. Wie sagtren sie doch? Ohne Ansehen der Person. Ja, so ist es. So hat er es beabsichtigt."
"Wer?"
"Der, der mich hinausrief."
"Und was wollte er von ihnen?"
Der Kranke wischte sich ueber die Stirn.
"Darueber habe ich nachgedacht, als ich nicht schlafen konnte.
Ich dachte, dass man womoeglich froh sein muss, wenn man besonders genommen wird. Das heisst doch, dass man nicht vergessen ist oder ueberzaehlig. Ja, Herr Doktor. Gott sieht doch die Person an. nicht so, dass er unsereinen für etwas Besonderes hielte. Aber er sagt: Dich meine ich, ausgerechnet dich, den Lebensmittelgrossisten Georg Berger, keinen anderen. Komm doch mal ein wenig mit mir auf die Seite. Ich habe dir etwas mitzuteilen. Vielleicht kann ich dich sogar gesund machen."
Der Chefarzt schwieg. Man hörte Schritte im Gang. Schwester Beate trat ins Zimmer.
Dr. Bielding stand vom Schemel auf. "Was bringen sie denn, Schwester? Ach so, den Reissnagel. Geben sie her. Ich will Herrn Bergers Rezept ueber dem Bett befestigen, damit ihn alle lesen koennen." Ende
Rudolf Otto Wiemer - Aus der Schatzkiste von mary rosina 09.05
Eine Geschichte die zum Nachdenken anregt, wie ich finde!
Ein Gedanke von mir dazu.
Oft gehe ich an den See, um zu beobachten,wie die Wellen kommen und gehen. Ein sehr beruhigendes Gefuehl, immer wieder. Die Wellen waschen die Kiesel ganz glaenzend.Immer wieder werden sie an den Srand gespuehlt um wieder aufs neue ins Wasser zurueck gezogen zu werden.
Ich hebe sie abwechselnd auf, um denjenigen zu finden, der mir am besten gefaellt.Freudig bringe ich ihn nach Hause, lege ihn zu den vielen andern, die ich schon gesammelt habe. Eine bunte Mischung, so wie wir Menschen.
Auch wir sind wie Kiesel am Seestrand des Lebens.
Wenn Gott will, nimmt er uns fort. Ob am Tage oder in der Nacht, immer wenn wir besonders stolz auf unseren Besitz sind, kommt er und holt uns Heim.Zeigt uns, dass wir alle nackt gekommen und nackt wieder gehen. Was wir in der Zeit unseres Lebens gemacht haben, muessen wir verantworten, auf die eine oder andere Weise.